Jing Chen: Groß denken

@ Privat

Die Gastronomie ist nie nur der Wirt, sondern immer auch der Gast. Und die Mitarbeiter:innen. Und die Lieferant:innen. Und das ganze Umfeld. Die Physik hat mir beigebracht, groß zu denken, Systeme zu erkennen, Prozesse ganzheitlich zu erfassen. Sicher hätten es meine Eltern lieber gesehen, wenn ich gleich in die Gastronomie gegangen wäre, weil ja beide dort arbeiten. Aber durch das Studium der Oberflächenphysik bei Prof. Jürg Osterwalder an der Universität Zürich habe ich mir eine neue Welt erschlossen, die mich heute prägt. Zum Beispiel frage ich mich beim Kochen: Wieso, weshalb, warum? Das sind typische Fragen der Physik. Und zwar von der kleinsten molekularen Ebene, etwa bei der Zubereitung von stockendem Dotter bei einer bestimmten Temperatur im Wok bis hin zu globalen Strukturen wie Lieferketten von Wasserspinat. Wie lässt sich das vermitteln?

Veränderungen sind machbar und notwendig: Ich bin der erste Akademiker in meiner Familie. Um mir das Studium in Zürich zu finanzieren, habe ich zum Beispiel einem Bauarbeiter, der zur Polier-Prüfung antreten wollte, Mathe-Nachhilfe gegeben. Ein besserer Mathematik- Unterricht in den Schulen würde das Verständnis für die Naturwissenschaften insgesamt erhöhen. Und so auch die Fähigkeit in großen Zusammenhängen zu denken. Und das brauchen wir heute als Gesellschaft, mehr denn je.

Jing Chen, geboren 1995 in Wien, hat Physik an der Universität Zürich und der TU Wien studiert. 2019 wechselte er in die Gastronomie – Chen ist an sieben Lokalen beteiligt – und produziert neben moderner chinesischer Küche auch jede Menge Videos für seine 150.000 Follower alleine auf Instagram. Im Sommer 2025 hat Chen das klassische Wirtshaus Sopherl am Naschmarkt revitalisiert.