Eric Kandel: Die Eröffnungsrede

_FER7345Die Rede unseres Ehrengasts Eric Kandel im Wortlaut, gehalten zur Eröffnung des Wiener Balls der Wissenschaften am 30. Jänner 2016 im Wiener Rathaus

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl, sehr geehrter Herr Lehmann, sehr geehrter Anton Zeilinger, liebe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, meine Damen und Herren:

Ich werde in den nächsten fünf Minuten jedes deutsche Wort nutzen, das ich kenne und sogar ein paar, die ich nicht kenne.

Es ist eine große Ehre für meine Frau Denise und mich heute hier, vor dieser beeindruckenden Kulisse, als Botschafter des zweiten Wiener Balls der Wissenschaften eingeladen worden zu sein. Von besonderer Freude für mich ist dabei die Tatsache, zu sehen, welche Blüte die Wissenschaft in Wien seit meiner ersten Rückkehr nach dem 2. Weltkrieg vor 40 Jahren erlebt. Mir bleibt nur ein einziges Wort um diese Entwicklung zu beschrieben: großartig!

Der Beginn dieser Renaissance liegt meiner Meinung nach im Jahre 1985, als Boehringer Ingelheimer das Institut für Molekulare Pathologie unter der Leitung von Max Birnstiel gründete. Birnstiel war ein herausragender Wissenschaftler und im Besitz enormer intellektueller Weitsichtigkeit. Er nahm die Stelle an, unter der Voraussetzung, dass das Department für Molekulare Biologie der Universität Wien direkt neben dem Institut für Molekulare Pathologie angesiedelt werde. Max Birnstiel verpflichtete erstklassige junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sehr schnell feststellten, welch einzigartige Lebensbedingungen Wien zu bieten hat – mit einem hervorragenden Schul- und Bildungssystem, um nur einen der vielen Vorzüge zu nennen. In diesem Umfeld und mit frischem Geist verhalfen diese Menschen der Wissenschaft in Wien zu neuer Blüte und schufen einen herausragenden Campus der Lebenswissenschaften, der heute die Max Perutz Laboratories, das Institut für Molekulare Pathologie, das Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie, das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) – derzeit unter der Leitung von Josef Penninger – sowie zahlreiche andere Biotechnologieunternehmen beherbergt.

Neben den immensen Fortschritten in den Lebenswissenschaften ist außerdem Wiens Stärke auf dem Gebiet der Quantenphysik zu nennen und hier insbesondere die Verdienste Anton Zeilingers, einer der großen Physiker unserer Generation. Außerdem erwähnenswert ist die Medizinische Universität Wien, die seit ihrer Gründung vor zehn Jahren erfolgreich an die glorreichen Tage Wiener Medizin des frühen 20. Jahrhunderts anknüpft.

Weiters beschloss die Regierung von Österreich im Jahre 2006 das Institute of Science and Technology Austria in Klosterneuburg nahe Wien zu gründen. Basierend auf dem Entwurf Anton Zeilingers, der später von Haim Harari überarbeitet wurde, wuchs das ISTA unter der Führung von Claus Raidl, als Vorsitzendem, und Thomas Henzinger, als Präsident, zu einer weiteren wertvollen Wissenschaftsstätte.

Diese Entwicklungen ist es unter anderem zu verdanken, dass Wien über die Jahre zu einem Ort der Spitzenforschung in Zentraleuropa heranwuchs, der weltweit eine hervorragende Reputation genießt.

Sie stellen sich nun möglicherweise die Frage, wer außer den bereits genannten Personen maßgeblich an den Entwicklungen der letzten Jahre beteiligt war und ist? Von den vielen Persönlichkeiten denen wir zu Dank verpflichtet sind, möchte ich zweien meinen besonderen Dank aussprechen:

Einer der beiden ist der Bürgermeister, Michael Häupl. Was viele von Ihnen möglicherweise nicht wissen ist, dass Michael Häupl Biologie an der Universität Wien mit Schwerpunkt Meeresbiologie studiert hat, welches wiederum mein Fachgebiet ist. Außerdem war er in den Jahren 1975 bis 1983 akademischer Assistent am Naturhistorischen Museum in Wien. Wäre er diesem Pfad gefolgt, hätte er höchstwahrscheinlich den Nobelpreis für Physiologie und Medizin bekommen – dass meine Kompetenzen ausgereicht hätten zum Bürgermeister dieser wunderbaren Stadt gewählt zu werden, halte ich indes für unwahrscheinlich…

Die zweite Person, die ich sehr bewundere und der wir zu großem Dank verpflichtet sind, ist der Bundespräsident, Heinz Fischer. Herr Fischer war Wissenschaftsminister in den Jahren 1983 bis 1987 und seine Begeisterung für die Wissenschaften trug sich über die Jahre fort und beeinflusste sein akademisches und politisches Werk.

Wie dieser Ball auf einzigartig wienerische Art und Weise zeigt, ist Wien mittlerweile die größte Schnittstelle für akademische und kommerzielle Forschung in Zentraleuropa. Wissenschaftler aus über 100 Ländern sind der Beleg, dass Wien ein wunderbarer Ort ist, um zu leben und Wissenschaft zu betreiben. Des Weiteren sind 50% der jungen Generation zwischen 20 und 30 an einer der Universitäten Wiens immatrikuliert, wodurch Wien auf dem besten Wege ist, DIE Wissenschaftsstadt Europas zu werden. In Anbetracht der aktuellen Krisen und Probleme, der sich die Welt heute konfrontiert sieht, und die es zu überwinden gilt, ist dies ein umso positiveres Signal, denn Wissenschaft ist hierbei nötig – heute mehr denn je.

Danke vielmals.