Amira Ben Saoud: Wissenschaft als Leidenschaft

© Johanna Pichlbauer

Immer wieder werde ich mit leidverzerrtem oder bass erstauntem Gesichtsausdruck gefragt, warum zur Hölle ich denn Latein studiert habe. „Es ist schwer, es ist tot, es bringt nichts, vor allem nicht am Arbeitsmarkt”, lautet der Tenor.

Ich werde jetzt nicht versuchen, diesen Tenor durch ein Loblied auf die Genialität eines Ovid oder Vergil zu überstimmen, oder darzulegen, wie viel Relevanz die römische Literatur und Geschichte für uns heute noch hat. Nicht nur, weil sie uns in die Vergangenheit eintauchen lässt, sondern, weil uns all diese Texte und ihre Kontexte auch etwas über uns zu erzählen: Was uns gerade beschäftigt, lesen wir aus ihnen heraus- und in sie hinein. Ich werde Ihnen auch nicht erklären, wie cool lateinische Grammatik ist, oder Metrik, oder Rhetorik. Zum Beispiel, dass das Stilmittel Praeteritio heißt, wenn jemand behauptet, er werde etwas nicht erwähnen, nur um es dann erst recht zu erwähnen – wie ich hier gerade.

Also anders: Während meines Studiums habe ich richtig zu denken gelernt, zu lesen, zu schreiben, zu recherchieren, zu argumentieren, zu streiten und zu scheitern. Ich habe Sitzfleisch entwickelt und ein ganz neues Maß an Frustration kennengelernt. Ich habe Freundschaften fürs Leben geschlossen und bin bis heute mit Professorinnen in Kontakt. Regelmäßig treffe ich ehemalige Kollegen, mit denen ich manchmal über die Genialität eines Ovid oder Vergil, meistens aber über geteilte Erinnerungen an eine für uns so prägende und schöne Zeit rede. Natürlich denke ich mir manchmal, dass es vorteilhafter gewesen wäre, wenn meine große Leidenschaft Jus, Wirtschaft, Medizin oder sonst etwas, mit dem man Geld verdienen kann, gewesen wäre. Aber ich habe es nie bereut, meiner Leidenschaft gefolgt zu sein und freue mich, mit anderen, die es genauso gemacht haben, diese Leidenschaft beim Wissenschaftsball zu feiern.

Amira Ben Saoud, geboren 1989 in Waidhofen/Thaya (NÖ) studierte Klassische Philologie, Kunstgeschichte und Komparatistik in Wien. Sie war Chefredakteurin des Popkulturmagazins „The Gap“ und Kulturredakteurin bei der Tageszeitung „Der Standard“. 2025 erschien ihr erster Roman „Schweben“ im Zsolnay Verlag, laut FM4 ein „verstörrend guter Debütroman“.